Das Parlament
12.10.2001
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Besatzungsrecht bis zuletzt
Die alliierten Militärmissionen in Deutschland
Gunter Holzweißig
Im Londoner Abkommen der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges vom 14. November 1944 über die nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands zu installierenden militärischen Kontrolleinrichtungen wurde beschlossen: Jedem Oberbefehlshaber werden in seiner Besatzungszone für Verbindungsaufgaben Vertreter des Heeres, der Marine und der Luftwaffe der drei anderen Oberbefehlshaber beigegeben.
Erst nach langwierigen, separat geführten Verhandlungen einigten sich die Besatzungsmächte 1946/47 über die Einrichtung von Militärmissionen der Amerikaner, Engländer und Franzosen in Potsdam und der Sowjets in den westlichen Besatzungszonen. Dort befanden sich die sowjetischen Militärmissionen nach mehreren Umzügen die längste Zeit in Bünde (Westfalen), Frankfurt am Main und Baden-Baden.
Noch vor der Ratifizierung des so genannten "2+4 Vertrages" erklärten die Außenminister der drei Westmächte und der Sowjetunion am 1. Oktober 1990 in New York, "die Wirksamkeit ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes" bis zum Inkrafttreten des Vertrages für ausgesetzt. Dies galt auch für das Besatzungsrecht sowie alle diesbezüglichen vierseitigen Vereinbarungen, so dass die alliierten Militärmissionen in der Bundesrepublik und in Potsdam bis zum Jahresende 1990 aufgelöst wurden.
Die Rechtshistorikerin Dorothee Mußgnug betont in der Einleitung zur Geschichte der Militärmissionen, ihre Darstellung könne auf Grund der noch zu schmalen Quellenbasis keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Dies liegt übrigens nicht nur an der Unzugänglichkeit diesbezüglicher sowjetischer Akten, sondern auch an der nach wie vor restriktiven Praxis westlicher Regierungen.
Was Realität war
Dennoch gelang der Verfasserin ihr Vorhaben, einen "kleinen Teil deutscher Verfassungswirklichkeit" am Beispiel der Tätigkeit der Militärmissionen aufzuzeigen. Belege für die durch ihre jeweiligen Bündnispartner eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik und DDR bietet sie in Hülle und Fülle - und dies nicht nur für die Zeit vor 1955, dem Jahr des Inkrafttretens des Deutschlandvertrages und Vertrages über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR.
Weder die Westmächte noch die Sowjetunion waren bereit, in Fragen der Stationierung ihrer Streitkräfte in Deutschland mit offenen Karten zu spielen. So erhielt beispielsweise die Bundesregierung nicht die Texte der Abkommen über die Einrichtung der sowjetischen Militärmissionen auf dem Territorium der Bundesrepublik. Sowohl die Westmächte als auch die Sowjets verdeutlichten den beiden deutschen Regierungen stets aufs Neue deren Nichtzuständigkeit für die Kontrolle der Inspektionsfahrten der Angehörigen der Militärmissionen. Bei besonderen Vorkommnissen hatte sich die deutsche Polizei zurückzuhalten und lediglich die jeweils zuständigen alliierten Dienststellen zu informieren. Die vier Mächte wiegelten Beschwerden deutscher Stellen stets mit dem Hinweis ab, sie wollten der jeweils anderen Seite keinen Vorwand für Vergeltungsmaßnahmen bieten.
Über die Glienicker Brücke
Nicht von ungefähr ist das Kapitel über die Probleme der westalliierten Militärmissionen in Potsdam am umfangreichsten ausgefallen. Dies liegt zum einen an der erheblich größeren Anzahl von Vorfällen auf DDR-Gebiet, bei denen auch Todesopfer zu beklagen waren, sondern auch daran, dass die Verfasserin im größeren Umfang SED- und MfS-Akten auswerten konnte.
Dabei zeigte sich, mit welchem Nachdruck - wenn auch erfolglos - Ulbricht und später Honecker auf die Sowjets einzuwirken suchten, die westlichen Militärmissionen in Potsdam zu schließen. Aus den MfS-Akten geht hervor, wie Volkspolizei, MfS und NVA gemeinsam unter Gewaltanwendung gegen Fahrzeugbesatzungen der westlichen Missionen vorgingen, wobei 1984 ein französischer Fahrer durch die von einem NVA-Lastwagen vorsätzlich herbeigeführte Blockierung seines Fahrzeuges ums Leben kam. Im Jahr darauf wurde der amerikanische Major Nicholson auf einer Erkundungsfahrt von einem sowjetischen Wachsoldaten erschossen.
Dorthee Mußgnug belässt es nicht bei der Darstellung solcher und anderer, meistens glimpflich ausgegangener Zwischenfälle. Ihr gelingt es vielmehr in anschaulicher Weise, bisher wenig bekannte verfassungsrechtliche sowie innen- und außenpolitisch relevante gesamtdeutsche Aspekte am Beispiel der Tätigkeit der alliierten Militärmissionen in Deutschland transparent zu machen.
Dorothee Mußgnug:
Alliierte Militärmissionen in Deutschland 1946-1990. Duncker & Humblot, Berlin 2001; 247 S., 78,- Der Autor arbeitet als Zeithistoriker in Berlin vorrangig an Themen der jüngsten deutschen Geschichte.